Loslassen

und was das für mich bedeutet

Es gibt Tage, da bin ich nur mit loslassen beschäftigt.
Langsam die zur Faust geballten Hände lockern. 
Ein wenig gerade werden, gen Himmel.
Erdung spüren.
Schultern fallen lassen.
Hände öffnen. 

Mein Gesicht den ersten Sonnenstrahlen und dem Wind entgegenhalten.
Tränen laufenlassen.
Die Traurigkeit zulassen.
Die Ohnmacht spüren. 
Mich so sein lassen. 
Sein dürfen. 
 
Es gibt Tage, da bin ich nur mit loslassen beschäftigt.
Mit meinem Los und meinem Lassen.
Mit denen, die gingen.
Menschenkindern.
Himmelskindern.
Mit Lücken und Gräbern,
genauer: fehlenden Gräbern.
 
Es gibt Tage, da bin ich nur mit loslassen beschäftigt.
Träumen, zu großen und zu kleine. 
Zukunftsplänen.
Ideen, vom Glücklichsein. 
Kaum greifbar.
Unsagbar.
 
Es gibt Tage, da bin ich nur mit loslassen beschäftigt.
Abschied nehmen.
Zulassen, dass es zu Ende ist.
Loslassen, und die Antwort schon längst wissen:
Und wissen, dass sie alle – bestimmt, ganz sicher, wie sollte es auch anders sein – geborgen sind.
Aufgehoben. 
Im besten aller Sinne.

Und trotzdem: Nachtrauern. 
Ja, heute nochmal nach trauern – weil ich es vor lauter funktionieren vergessen hatte.
Nachtrauern und nachspüren.
Schön wäre es gewesen.
Schön warst du; ihr alle. 
Nochmal trauern und spüren: 
Die Gnade reicht.
Bis unter die Erde, bis in Klinikmüll und Massengräber.
Die Gnade reicht.
Reicht zum Loslassen und mich fallen lassen.
In Worte und Zeichen.
Segen und aufgelegte Hände.
 
Mein Lassen wähle ich: 
Erobere mir Leben zurück.
Stelle mich unter G*ttes Segen.
Setze darauf, dass es reicht. 
Dass die, die da sind die richtigen sind.
Das ich genüge.
Das wir genügen.
Das Lücken Teil des Ganzen sind.
Und das auch unvollständiges heilig ist. 

 

 

Text: Friederike Goedicke, Bild: Andrea Kuhla